SCHÖNHEIT UND VERGÄNGLICHKEIT – Einige Betrachtungen zur Ausstellung

„Das Ziel des Künstlers ist die Erschaffung des Schönen. Was das Schöne ist, ist eine andere Frage.“ James Joyce, Ein Portrait des Künstlers als junger Mann

„Das eigentlich Charakteristische dieser Welt ist ihre Vergänglichkeit.“ Franz Kafka

Über die Frage, was schön sei lässt sich trefflich diskutieren, aber es wird niemals eine gültige Beantwortung möglich sein. Zu sehr hängt das, was wir unter Schönheit verstehen, von kulturell geprägten Mustern und Traditionen, aber auch von Moden und individuellen Vorlieben ab. Und doch hat es immer wieder Menschen interessiert nach dem Schlüssel für Schönheit zu suchen oder verbindende Normen zu erstellen. Jede auch archaische Kultur hat ihre eigenen Schönheitsvorstellungen entwickelt und heute, in unserer vernetzten Welt, stehen alle diese unterschiedlichen alltags-, sub- und hochkulturellen Schönheitsvorstellungen nebeneinander und sind abrufbar.

MARC QUINN, Alison Lapper (8 months), 2000  © Sammlung Essl Privatstiftung Fotonachweis: courtesy Jay Jopling, White Cube, London

MARC QUINN, Alison Lapper (8 months), 2000 © Sammlung Essl Privatstiftung Fotonachweis: courtesy Jay Jopling, White Cube, London

Seit Jahrhunderten reflektieren insbesondere Philosophen und Künstler über den Begriff der Schönheit, der sich in der westlichen Kultur aus der klassischen Antike entwickelt hat und erst im 20. Jahrhundert durch die Beschäftigung mit außereuropäischen Kulturen grundlegend in Frage gestellt wurde. Was ist schön? Radikal stellt der englische Bildhauer Marc Quinn den klassischen europäischen Schönheitsbegriff in Frage, wenn er die Künstlerin Allison Lapper in weißem Marmor und klassischer Haltung porträtiert, eine Frau, die aufgrund einer Krankheit verkürzte Arme und Beine hat. Sind Schönheit und Perfektion gekoppelt, wie es die Rezeption der griechischen Antike vorgibt und die Renaissance als zentrales ästhetisches Diktum wieder aufnimmt? Ist gar Schönheit, Reinheit und Menschlichkeit eine Einheit, wie es der Kunstbegriff des 19. Jahrhundert verdichtete? Auch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts reklamierten in ihrer Kunst Schönheit für sich, wenn auch mit gänzlich anderen ideologischen Hintergründen. Und in der heutigen westlich geprägten Konsumwelt scheint Schönheit ausschließlich auf Äußerlichkeit und Jugendkult reduziert zu sein. Gibt es aber auch so etwas wie innere Schönheit, oder eine Schönheit des Vergehenden?

Schon das Wissen um andere Kulturen und ihre Begriffe von Schönheit relativiert die eigenen, europäischen Traditionen. Die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die spätestens seit der Renaissance geltenden Maßstäbe zur Ästhetik in Europa vollkommen revolutioniert und wurde darum gefeiert. Dass vieles davon auf einem genauen Studium von außereuropäischen Kulturen basiert und so wiederum eine postkoloniale Aneignung fremder Schönheitsvorstellungen und Ästhetiken darstellt, schmälert zwar die Leistung der Künstler für die europäische Kunst des 20. Jahrhunderts nicht, relativiert aber deren eigene Erfindung doch sehr. Es zeigt sich auch an diesem Beispiel, dass eine eindeutige Beantwortung der Frage, was schön ist, auch nach allen zukünftigen Diskussionen kaum möglich sein wird.

JÖRG IMMENDORFF, Kampf der Zeit, 2005  © The Estate of Jörg Immendorff, Courtesy Galerie Michael Werner Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York Fotonachweis: Mischa Nawrata, Wien

JÖRG IMMENDORFF, Kampf der Zeit, 2005 © The Estate of Jörg Immendorff, Courtesy Galerie Michael Werner Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York Fotonachweis: Mischa Nawrata, Wien

Über die Vergänglichkeit hingegen kann nicht einmal diskutiert werden, sie ist Teil, beziehungsweise Abschluss allen Lebens, ob es, er oder sie schön war oder nicht spielt dabei keine Rolle. Kann aber nicht auch ein Moment des Alterns, oder ein beginnender Verfall schön sein? Schließen sich Alter, Vergänglichkeit, Alltäglichkeit und Schönheit aus?

Dass Schönheit und Kunst zusammengehören, ist allgemein akzeptiert, in der zeitgenössischen Kunst allerdings spielt der Begriff Schönheit selten eine Rolle. Spricht man aber mit Museumsbesuchern, so ist im Allgemeinen eine große Sehnsucht nach Schönheit in der Kunst spürbar, wobei auch heute, im 21. Jahrhundert, noch ein im 19. Jahrhundert geprägter bürgerlicher Schönheitsbegriff vorzuherrschen scheint.

Dass aber Kunst und Vergänglichkeit zusammengehören, wird wohl eher in Zweifel gezogen. Das Kunstwerk scheint ja gerade dafür gemacht, der Vergänglichkeit „ein Schnippchen zu schlagen“, für die Ewigkeit geschaffen zu werden, was auch immer man darunter versteht. Zumindest soll es die Lebensdauer der Erschaffer (oder neuerdings der Produzenten) von Kunst überdauern und ihren „Ruhm“ mehren und erhalten. So werden auch die Kunstwerke der Sammlung Essl, die unsere Ausstellung bilden, sorgsam bewahrt und gepflegt, gegebenenfalls restauriert, damit sie noch lange Zeit vor allzu schneller Vergänglichkeit bewahrt werden können.

JANNIS KOUNELLIS, Ohne Titel, 1999  © Sammlung Essl Privatstiftung Foto: Photoatelier Laut, Wien

JANNIS KOUNELLIS, Ohne Titel, 1999 © Sammlung Essl Privatstiftung Foto: Photoatelier Laut, Wien

Künstlerische Positionen, die sich mit existenziellen Fragestellungen beschäftigen, stehen im Zentrum dieser Ausstellung. Die Begriffe Schönheit und Vergänglichkeit haben sich aus der Beschäftigung mit den ausgewählten Kunstwerken entwickelt und wurden so titelgebend für die Schau. Uns geht es dabei nicht um die Postulierung eines Gedankens unter Beweisführung von Kunst. Die Ausstellung sieht sich eher als einen Gedankenraum; als ein Ort, an dem sich aus der kontemplativen Beschäftigung mit den Kunstwerken reflexive Betrachtungen entwickeln mögen, zu grundsätzlichen Fragestellungen, wie der nach der Schönheit, dem eigenen Verhältnis zur Vergänglichkeit und der Sehnsucht, dieser zu entkommen oder zumindest einen Moment einfrieren zu können.

Alle Werke der Ausstellung haben etwas gemeinsam, sie bieten, so divergierend ihre künstlerischen Ansätze und Fragestellungen auch sein mögen, durch ihren ausgeprägten Werkcharakter auch für Betrachter mit wenig kunsttheoretischem Vorwissen vielfältige Ansatzpunkte für eine inhaltliche Betrachtung.

Dieser Text von Andreas Hoffer ist vollständig im Kunst-Lesebuch zur Ausstellung >SCHÖNHEIT UND VERGÄNGLICHKEIT< abgedruckt. Das Kunst-Lesebuch enthält weiters Texte von 17 zeitgenössischen Autoren und Autorinnen sowie ca. 50 Abbildungen auf 304 Seiten. Erhältlich ist das Kunst-Lesebuch im Buchhandel oder im Essl Museum. Info: Kunst-Lesebuch >SCHÖNHEIT UND VERGÄNGLICHKEIT<

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